Inhaltsverzeichnis
Über das Fach Musikwissenschaft
von Christoph-Hellmut Mahling
(Auszug aus: Blätter zur Berufskunde, Band 3, Musikwissenschaftler/Musikwissenschaftlerin, hrsg. von der Bundesanstalt für Arbeit, Bielefeld 1992)
Die Musikwissenschaft ist unter den Kunstwissenschaften wohl die älteste Disziplin. Schon in der Antike beschäftigte man sich mit der Erforschung ihrer Grundlagen (z.B. Pythagoras) und ihrer Wirkungen (z.B. Platon "Politeia"). Das Mittelalter zählte die scientia musica zu den septem artes liberales, allerdings als eine mathematisch-naturwissenschaftliche Disziplin. Historische Studien zur Geschichte der abendländischen Musik finden sich unter anderen Bezeichnungen, wie etwa "Musikalische Wissenschaften", im 18. Jahrhundert. Der Begriff "Musikwissenschaft", offenbar erstmals von E.T.A. Hoffmann gebraucht, wird aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbindlich als Bezeichnung für die Musikforschung als einer positiven Wissenschaft. In diesem Sinne hat die Musikwissenschaft neue Impulse von Gelehrten wie Guido Adler und Friedrich Chrysander erhalten. Adler legte eine systematische Gliederung der Musikwissenschaft in ihre Teilbereiche vor (in der "Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft" 1, 1885), die, abgesehen von einigen Modifikationen und Erweiterungen, bis heute ihre Gültigkeit besitzt. Die Musikwissenschaft hat darunter gelitten, dass sie zunächst keine eigenständigen Forschungsmethoden entwickelte, sondern sich an denen anderer Disziplinen, wie z.B. der Altphilologie oder der Kunstgeschichte, orientierte. Dies hat u.a. dazu geführt, dass die Musikwissenschaft allzu leicht auf Musikgeschichte eingegrenzt wurde, ihre übrigen Teilgebiete aber nur als Appendices galten. Musikwissenschaft versteht sich aber als Wissenschaft von der Musik im ganzen. Als solche befasst sie sich insbesondere mit drei Teilgebieten: der Historischen Musikwissenschaft (Musikgeschichte), der Systematischen Musikwissenschaft und der Musikethnologie (musikalische Volks- und Völkerkunde).
Studieninhalte
Die Musikwissenschaft beschäftigt sich mit der Musikgeschichte, der Systematischen Musikwissenschaft und der Musikethnologie (musikalische Volks- und Völkerkunde). In diesem Zusammenhang sind die Grundlagen, Erscheinungsformen und Wirkungsweisen der Musik ihr Gegenstand. Das Studium der Musikwissenschaft soll den Studierenden unter anderem das methodische und wissensmäßige Fundament vermitteln, das befähigt, sich selbständig und kritisch die notwendige wissenschaftliche Qualifikation zu erwerben. Hierzu gehören die Kenntnis der physikalischen und physiologischen Grundlagen der Musik, die Kenntnis ihrer psychischen Wirkungen sowie ihrer Erscheinungsweisen in den verschiedenen Formen menschlicher Gesellschaft in Vergangenheit und Gegenwart und auch in verschiedenen Kulturen. Die Studierenden sollen sich einen Überblick über die Entwicklung der Tonsysteme, der Musikinstrumente und ihrer Anwendung sowie der musikalischen Kompositionselemente, Formen, Gattungen und Stile von der Antike bis zur Gegenwart und den Zusammenhang der Musik mit der allgemeinen Kunst- und Kulturgeschichte verschaffen. Es leuchtet ein, dass diese Teilgebiete während des Studiums in der Regel nur punktuell und exemplarisch behandelt werden können. Doch kann dadurch zumindest ein Anstoß zu eigener Weiterarbeit und gegebenenfalls auch für eine entsprechende Schwerpunktsetzung gegeben werden.
Die Musikgeschichte hat die Entwicklung der Musik seit der Antike zum Gegenstand. Doch liegt der Schwerpunkt auf der Geschichte der abendländischen Kunstmusik seit etwa 800 n. Chr. Die einzelnen Epochen werden bis zu bestimmten Marksteinen, die in der Regel einen Wandel der Stile kennzeichnen, verfolgt. Studien zu Leben und Werk führender Musikerpersönlichkeiten gehören ebenso in dieses Gebiet wie eine Auseinandersetzung mit der Entwicklung einzelner Gattungen. In diesem Zusammenhang sind auch Studien in Bereichen wie Notationskunde, Quellenkunde, Aufführungspraxis oder musikalischer Sozialgeschichte unabdingbar.
Die Systematische Musikwissenschaft befasst sich unter anderem mit der Geschichte der Musiktheorie, der Entwicklung der Musikinstrumente (Instrumentenkunde), der Frage nach der Hörweise und Rezeption von Musik (Physiologie, Musikpsychologie), Problemen der (musikalischen und physikalischen) Akustik (Grundlagenforschung), aber auch mit Musiksoziologie und dem breiten Gebiet der Musikästhetik, in das z.B. die Beschäftigung mit dem musikalischen Kunstwerk fallt.
Die Musikethnologie (oder "Ethnomusikologie") hat einerseits Untersuchungen zur europäischen Volksmusik, andererseits Forschungen zur Musik außereuropäischer Völker, soweit diese nicht einer Hochkultur zuzurechnen sind ("Naturvölker"), zum Gegenstand. Heute werden durch den Begriff "Ethnomusikologie" schon weitgehend beide Gebiete abgedeckt. Wer sich der Musikethnologie zuwendet, muss sich darauf einrichten, möglichst eigene Forschungsreisen zu unternehmen, um auf diese Weise Materialien zu sammeln, die dann in einer wissenschaftlichen Arbeit ausgewertet werden können. Ein Studium mit Schwerpunkt Musikethnologie ist aber, wie schon oben erwähnt, nur an ganz wenigen Universitäten in Deutschland möglich und sinnvoll (im Gegensatz etwa zu den USA). Die historische Musikwissenschaft aber bleibt im Grunde Kern des Faches, um den sich alle anderen Teilgebiete gruppieren.
Der Musikgeschichte wurde und wird noch immer die Priorität in der Ausbildung, aber auch in der Forschung, eingeräumt. Dies hat seinen Grund nicht etwa in einer Missachtung der systematischen Grundlagenforschung oder der Ethnomusikologie, sondern im Mangel der für diese Teilgebiete speziell ausgebildeten Wissenschaftler. Nur an einigen deutschen Universitäten gibt es einen Lehrstuhl für Systematische Musikwissenschaft (u.a. Humboldt Berlin, Hamburg und Köln) oder Musikethnologie (Bamberg, FU Berlin, Göttingen, Hamburg, Köln und demnächst auch München). Hier besteht, etwa im Vergleich mit der amerikanischen Musikwissenschaft, ein ungeheures Defizit. Und doch werden in der heutigen Forschung immer häufiger alle drei Richtungen miteinander verbunden. Häufig sind zur Erklärung musikhistorischer Sachverhalte musiksoziologische oder musikpsychologische Aspekte ebenso wichtig wie die geschichtlichen Fakten, und zu welch einseitigen Ergebnissen würde die Instrumentenkunde kommen, wenn sie neben den historischen Fakten nicht auch die Musikethnologie und die Systematische Musikwissenschaft in ihre Forschungen einbeziehen würde?
Historische Musikwissenschaft | Systematische Musikwissenschaft | Musikethnologie | |
Ziel | "Verstehen" musikalischer Werke und ihres musikgeschichtlichen Zusammenhangs | Erkennen von Gesetzmäßigkeiten des musikalischen Erlebens und Verhaltens | Verstehen der Musik n ihrem soziologischen und anthropologischen Zusammenhang |
Arbeitsbereiche | Bezug zu Musikstücken
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Umfasst alle Musik außer der abendländischen Kunstmusik, z.B. europäische Volksmusik, japanische Hofmusik |
Bezug zur Musikausübung
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Bezug zu Personen/Gesellschaft
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Sprechen und Denken über Musik
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nach: Schwindt-Gross, Nicole: Musikwissenschaftliches Arbeiten.
Hilfsmittel - Techniken - Aufgaben. Kassel 1992 (=Bärenreiter Studienbücher Musik 1)
Berufsaussichten
Natürlich gibt es theoretisch die vielfältigsten Möglichkeiten, sich als Musikwissenschaftler/in zu betätigen, so zum Beispiel als Wissenschaftler an einer Universität, als Dozent an einer Musikhochschule oder an einem Konservatorium, als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Forschungsinstitut bzw. bei einer der musikalischen Gesamtausgaben, als Lektor in einem Musikverlag, als Musikredakteur in Print- oder audiovisuellen Medien, als Musikdramaturg beim Theater, als Mitarbeiter im Bibliotheks- oder Archivwesen (wobei allerdings noch eine Spezialausbildung verlangt wird) oder im Bereich Kulturmanagement bis hin zur Tonträgerindustrie. Praktisch wird es von gewissen Zufallen abhängen, in welchem der genannten Bereiche sich eine Berufschance eröffnen kann. Dabei kommt es in der Regel auf ein breites Fachwissen, auf Repertoirekenntnisse und auf Flexibilität an. Wer sich von vorneherein auf nur ein Berufsziel festlegt, läuft Gefahr, niemals einen Arbeitsplatz zu bekommen. Da in vielen der genannten Berufszweige "praktische Erfahrung" bzw. "Berufserfahrung" vorausgesetzt wird, empfiehlt es sich, alle Möglichkeiten angebotener Praktika auszunutzen bzw. sich eigenständig um Praktika zu bemühen. Die Bedeutung persönlicher Kontakte sollte nicht unterschätzt werden. Für die wissenschaftliche Laufbahn sollten sich nur ganz außerordentlich qualifizierte Studierende entscheiden. Allerdings ist auch hier – und zwar in besonderem Maße – das Risiko gegeben, dass später, d.h. nach Abschluss der Habilitation und einer begrenzten Zeit als Hochschuldozent, keine Dauerstelle zur Verfügung steht. Der Betroffene würde dann sehr schnell feststellen müssen, dass er nun aufgrund seiner Ausbildung für andere Positionen (etwa als Redakteur beim Rundfunk) nicht mehr in Frage kommt, da er für diese überqualifiziert ist. Erfahrungswerte zeigen im übrigen, dass sich heute um freie Positionen für Musikwissenschaftler durchschnittlich etwa 50 bis 80 Prozent mehr Bewerber bemühen als noch vor zehn Jahren. Wer trotzdem und im vollen Bewusstsein der hier skizzierten Probleme Musikwissenschaft studiert, wer bereit ist zu Engagement und offen ist für alle Tätigkeitsbereiche, der wird auch nach dem Studium seinen Weg machen.
Das Studium der Musikwissenschaft in Mainz
Studiengänge
Abschlussmöglichkeiten:
- Bachelor of Arts
- Master of Arts (in Vorbereitung)
- Promotion (Dr. phil.)
- Lehramt an Gymnasien: Prüfung im Fach Musikwissenschaft als Bestandteil der Ersten Staatsprüfung im Fach Musik
- Deutsch-französischer Doppelabschluss Magister/Maître (nur als Nebenfach)
- Wahlpflichtmodul im Diplomstudium Medienmanagement (in Zukunft im Masterstudiengang)
Studienvoraussetzungen
Studierende sollten neben guten englischen Sprachenkenntnissen entweder über ausreichende aktive und passive Kenntnisse einer weiteren modernen Fremdsprache verfügen, die zur Lektüre von Fachliteratur befähigt, oder Lateinkenntnisse nachweisen können.
Das Studium der Musikwissenschaft setzt Grundkenntnisse in Harmonielehre (Kadenz und einfache Harmonisierungen), Gehörbildung (Erkennen von sukzessiven und synchronen Intervallen) und dem Lesen von Partituren voraus. Fähigkeiten im Instrumentalspiel werden dringend empfohlen.
Studienberatung
Studienfachberatung für Fragen zum Studieninhalt und -aufbau:
FB 07.09 - Musikwissenschaft
Thorsten Hindrichs M.A.
Welderweg 18 (Philosophicum), Zi. 01-137
55099 Mainz
Tel. (06131) 39-20096
hindrich@mail.uni-mainz.de
Sprechstunden: Di 14-16 Uhr
Zentrale Studienberatung für allgemeine und fachübergreifende Fragen:
Forum universitatis, Eingang 1, Zi. 00-123
55099 Mainz
Tel. (06131) 39-23361 und 39-23362