Nachdem im Winter 1998/99 die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung des Buchs Sonderstab Musik – Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940 bis 45 (Dittrich: Köln 1998) des niederländischen Musikwissenschaftlers Willem de Vries für beträchtlichen Wirbel gesorgt hatte und schließlich gar zur Entlassung des Göttinger Professors für Musikwissenschaft Dr. Wolfgang Boetticher wegen dessen Beteiligung am 'Sonderstab Musik im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg' geführt hatte, entstand unter den Studierenden am musikwissenschaftlichen Institut der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz das Bedürfnis nach genauerer Kenntnis dessen, welche Rolle das Fach der Musikwissenschaft 'damals' wirklich gespielt hat. Boettichers Verstrickung in das nationalsozialistische System war vielen zwar im Ansatz bekannt (so zum Beispiel seine Fälschung einiger Schumann-Briefe an Mendelssohn im Sinne der faschistischen Ideologie), doch mit der Zunahme der Kritik an der wissenschaftlichen Arbeitsweise de Vries' wurde deutlich, dass es erstens nicht immer ganz so einfach ist, in der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus nur nach Opfer und Täter zu unterscheiden, und dass zweitens speziell die Rolle von Musikwissenschaftlern im 'Dritten Reich' und deren Beitrag zur Stabilisierung/Fundierung des faschistischen Systems lange noch nicht geklärt ist. Da auch die gängige Literatur über Musik und Nationalsozialismus das Fach Musikwissenschaft nur am Rande behandelt, wurde in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Mahling und Prof. Dr. Beer die Organisation eines Tutoriums 'Musikwissenschaft und Nationalsozialismus' für das Sommersemester 1999 beschlossen.
Vom 08.03. bis zum 11.03.2000 veranstaltete das musikwissenschaftliche Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Musikforschung und der Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz in Schloss Engers eine Internationale Tagung zum Thema ‚Musikwissenschaft im Nationalsozialismus und in faschistischen Regimen. Kulturpolitik - Methoden - Wirkungen'. Der ausführliche Tagungsbericht ist bei H-Soz-u-Kult zu finden. Die einzelnen Beiträge werden voraussichtlich im Frühjahr 2001 als Buch publiziert.